Liebe Redakteure der ARD, diese „Reportage“ ist ein Armutszeugnis und keine saubere Arbeit. Nein, ich bin kein Mitarbeiter von Amazon und sehe das „System“ ebenfalls ambivalent. Was ihr hier aber in eurer Reportage abgeliefert habt, ist schlicht unvollständig und sehr einseitig betrachtet.

Ja es stimmt: auf Amazon herrscht z.T. Willkür und es gibt definitiv Fälle, bei denen Händler-Accounts unbegründet oder aus fadenscheinigen Gründen gesperrt werden – das ist dann wirklich ein Skandal und existenzbedrohend.

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Ja es stimmt auch: das Kaufverhalten hat sich geändert. Viele Menschen shoppen heute im Netz und weniger lokal. Es gibt immer Händler, die das nicht gut finden aber auch genauso wenig bereit sind, Dinge zu ändern.

Die Realität im Einzelhandel sieht (aus Kundensicht) doch oft so aus, dass ich unfreundlichem Personal begegne und einem eingeschränkten Sortiment, das ich nicht wirklich vergleichen kann und Produkte, zu denen ich keine unabhängige Meinung vor dem Kauf bekomme. Eure Darstellung mit den beiden lieben Woll-Muttchen und dem heiteren Vater-Sohn-Gespann ist ein totales Zerrbild – es sind schlicht Einzelfälle.

Das System Amazon – ARD berichtet einseitig

Neben allen negativen Beispielen habt ihr zudem KEIN EINZIGES positives Beispiel gefunden, was man über Amazon sagen kann? Ich bin seit über 10 Jahren im E-Commerce tätig und kenne die Händler- als auch Dienstleistersicht sehr gut. Ich könnte euch zahlreiche Beispiele von erfolgreichen und gut verdienenden Amazon-Only-Händlern berichten. Aber an solch einer differenzierten Berichterstattung hattet ihr anscheinend kein Interesse.

Die Hausfrau und Mutter, die mit ihrem scharfsinnigen Ehemann das „System Amazon“ glaubt verstanden zu haben, ist übrigens kein solches Positivbeispiel.

Fatal wird es dann, wenn in eurem Bericht erklärt wird, dass man ganz einfach seinen eigenen Onlineshop „programmieren“ kann und das Ganze sogar noch „kostenlos“ wäre. Shopware ist ein gutes System, aber mit Nichten ohne Spezialkenntnisse geschweige denn ohne Kosten eingerichtet. Und selbst wenn der Shop steht – was dann? Kommen die Besucher da von ganz allein hin? Wie von eurem lustigen Beispiel mit dem Heilbronner Knopf-Käufer?

Amazon wird hier als böser Abzocker hingestellt, der sich erdreistet, von seinen Händlern auch noch 15% Provision zu kassieren, wobei man doch mal eben einen eigenen Onlineshop kostenlos erstellen kann. Wie schaut es denn mit den Kosten aus, die man berappen muss, um genügend Traffic zu generieren? In der Google-Suche (organisch) bin ich selbst mit Profi-Kenntnissen erst nach Monaten ausreichend gut zu finden. Bezahlte Werbung ist auf Google oft sogar noch viel teurer als auf Amazon.

ARD Reportage: Amazon teurer als Onlineshop

Selbst wenn ich jetzt alles gut beherrsche und alles richtig mache, bekomme ich einen Großteil der Onlineshopper schon gar nicht mehr in meinen Shop, da die Produktsuche oft direkt auf Amazon startet. Und selbst wenn ein Nutzer doch in meinem Shop landet, konvertiert dieser nachweislich mit durchschnittlich 2 bis 3 Prozent – auf Amazon ist diese Zahl 4 bis 5 Mal so hoch. Soll heißen: von 100 Besuchern im Shop kaufen am Ende nur 2 auch tatsächlich ein – bei Amazon sind es 10 oder mehr.

Was ist denn bitte mit Hosting-Gebühren, der Anbindung von Payment-Providern und den Instandhaltungsgebühren für einen Onlineshop? Keiner der von euch gezeigten Händler würde die Wartung und Personalisierung eines Shops alleine bewerkstelligen. Hier kommen Dienstleister ins Spiel, die auch Geld kosten.

Auch falsch in eurem Bericht dargestellt: die Ware muss nicht am Sonntag verpackt werden. Das ist schlicht Blödsinn. Man muss nur innerhalb von 24 Stunden auf Kundenanfragen reagieren, d.h. im Zweifel auch nur eine E-Mail beantworten – willkommen in der Online-Welt. Und auch hier gibt es schon digitale, automatisierte Systeme, welche diese Arbeit weitestgehend automatisiert übernehmen können – sprich ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz (ebenfalls falsch in eurer Sendung dargestellt) passiert damit nicht.

Das System Amazon – Fazit: Onlineshop geht eben doch nicht so einfach

Das „Schönste“ an eurer Berichterstattung ist aber das eigene Fazit mit den Heilbronner Onlineshop-Newbies. Die Eine verzweifelt an Excel, die andere stellt undifferenziert fest, dass sie plötzlich mehr Besucher im Ladengeschäft haben. Und nach über einem Jahr Webshop-Erfahrung haben die Damen im Schreibwarengeschäft tatsächlich EINE ganze Bestellung online abwickeln können. Chapeau! Was für ein Erfolg. Mein Tipp: einfach mal bei Amazon verkaufen – dann geht das auch!

Im Ernst, liebe ARD: das war ganz schlechtes Tennis. Wenn ich mir überlege, dass ich für solche Berichterstattung, einseitig und schlecht recherchiert, auch noch Zwangsgebühren bezahlen muss, ist das eine Farce. Keine Frage: Amazon ist nicht der goldene Ritter des E-Commerce und hat auch sehr dunkle Schattenseiten. Aber alles zu verteufeln und auch noch z.T. völlig falsch darzustellen ist nicht nur unseriös, sondern auch folgenschwer. Ein angehender Onlinehändler ohne Vorkenntnisse in diesem Bereich könnte nach eurer Reportage auf die Idee kommen, sein Glück mit einem „kostenlosen“ Onlineshop zu starten und von Amazon lieber gleich die Finger zu lassen. Dieser Händler würde wahrscheinlich sehenden Auges in sein Verderben laufen.

Schade – von einem öffentlich-rechtlichen Sender darf und muss man mehr erwarten. Das hier war bestenfalls RTL2-Niveau.

Wer sich ein eigenes Bild machen möchte: ARD Reportage „Das System Amazon“ in der Mediathek