Dein Thema ist angemeldet. Dein Name wird aufgerufen. Die ersten Blicke richten sich auf dich. Du gehst nach vorn und trittst vor die Menschen. Die Scheinwerfer strahlen dir ins Gesicht. Der Moderator erteilt dir das Wort und es wird mucksmäuschenstill. Einige hundert Augenpaare sind nun auf dich gerichtet. Jetzt kommt es auf dich an.

Genau das ist der Moment, vor dem viele Menschen Angst haben: Vor anderen zu sprechen. Von Lampenfieber über Stottern bis hin zum totalen Blackout – die Angst, eine Rede oder einen Vortrag vor Publikum zu halten, kennt fast jeder. Und trotz zahlreicher Vorträge und Workshops vor wenigen oder vielen Menschen ist auch bei mir jedes Mal eine gewisse Aufregung dabei, wenn ich nach vorne trete und eine Rede halten darf. Warum „darf“? Müsste es nicht „soll“ heißen? Eigentlich nicht, denn schließlich mache ich das freiwillig und seit vielen Jahren sehr gerne. Oft höre ich nach einem Vortrag auf einer Konferenz: „Warst du nicht nervös?“ oder „Toller Vortrag, aber ich hätte vor Aufregung kein Wort rausbekommen“. Und ganz ehrlich? Ein bisschen nervös bin ich vor jedem Vortrag oder Workshop, den ich halte. Ein bisschen gesundes Lampenfieber gehört meiner Meinung nach dazu, wenn man vor Menschen spricht und präsentiert. Nur bei manchen kann diese Nervosität wirklich zu enormem Stress, Panik und manchmal zu einer Art Lähmung führen.

Reden Lernen Buch Ronny Marx

40% der Menschen haben Angst vorm öffentlichen Reden

The Book of Lists von David Wallechinsky Amy Wallace

The Book of Lists: The Original Compendium of Curious Information Taschenbuch – 1. Januar 2005 Englisch Ausgabe von David Wallechinsky (Autor), Amy Wallace (Autor) *

Bei meinen Recherchen zu diesem Thema bin ich auf eine interessante Zahl gestoßen: In dem Buch „The book of lists“ von David Wallechinsky findet sich eine Statistik. Diese besagt, dass in einer Studie mehr als 40 Prozent der Befragten Angst davor haben, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Nur etwa ein Fünftel hat Angst vor Tod und Krankheit. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Doppelt so viele Menschen haben Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen, als zu sterben. Auch wenn die Arbeit schon 40 Jahre alt ist, bin ich überzeugt, dass sich an der Grundthematik und den Zahlen dahinter nicht viel geändert hat. Möglicherweise ist der Prozentsatz in den letzten Jahren sogar noch gestiegen, weil durch die starke Zunahme der virtuellen Arbeit die Menschen am Arbeitsplatz von der „klassischen“ Kommunikation isoliert werden. Wenn man dann plötzlich wieder vor „echten“ Menschen steht, ist die Redeangst wahrscheinlich noch größer. Doch woher kommt diese teilweise panische Angst, vor anderen Menschen zu sprechen? Warum ist es bei den einen ein leichtes Kribbeln im Bauch und bei den anderen eine regelrechte Panik?

Grundsätzlich ist Angst nichts Falsches, denn sie hat die Funktion, vor etwas Gefährlichem zu schützen. Und auch Nervosität in Form von Lampenfieber ist an sich nichts Schlechtes, denn sie hilft, sich zu konzentrieren und Höchstleistungen zu erbringen. Ein Vortrag vor vielen Menschen kann genau eine solche Höchstleistung sein. Wenn aber eine Grundnervosität in Panik und schiere Angst umschlägt, ist das alles andere als förderlich und führt nicht selten zu Gestammel, Stottern, Schnappatmung oder einem totalen Blackout auf der Bühne. Ich selbst habe eine solche Situation zum Glück noch nie am eigenen Leib erfahren – aber ich habe sie schon bei anderen Rednern miterlebt.

Rampensäue, Mauerblümchen und Grautöne

Dass aus Nervosität echte Angst werden kann, liegt an verschiedenen Faktoren – allen voran an der eigenen Persönlichkeit. Die einen sind geborene „Rampensäue“, die anderen eher introvertierte Mauerblümchen. Dazwischen gibt es viele „Grautöne“, zu denen wohl die meisten Menschen gehören und zu denen ich mich auch zählen würde. Lampenfieber hat wohl jeder vor einer Rede, aber wovor haben die meisten Menschen wirklich Angst? Ich habe einmal aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit anderen Rednern die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte herausgearbeitet:

  • Angst, im Mittelpunkt zu stehen
  • Angst, belächelt oder gar ausgelacht zu werden
  • Angst, fachlich zu versagen
  • Angst vor einem Blackout

Wenn man sich die Ursachen der Ängste genauer ansieht, erkennt man auch schnell, was man dagegen tun kann. Die Angst, im sprichwörtlichen Mittelpunkt zu stehen, kann man meiner Erfahrung nach nur durch Übung und Routine in den Griff bekommen. Mit anderen Worten: Nutze so oft wie möglich die Gelegenheit, vor Menschen zu sprechen. Verschiedene Methoden zur Überwindung von Redeangst werde ich später noch genauer vorstellen.

Die Redeangst ist oft unbegründet

Die Angst, auf der Bühne ausgelacht zu werden, ist weitgehend unbegründet. Zumindest habe ich persönlich auf keiner der zahlreichen Konferenzen der letzten Jahre erlebt, dass sich das Publikum über Fehler des Vortragenden lustig gemacht hätte. Selbst wenn man sich bis auf die Knochen blamiert hätte, wäre die Gefahr eines hämischen Gelächters sehr gering. Bedenke immer, dass die meisten Menschen selbst Angst davor haben, vor anderen zu sprechen, und dass du als Vortragender immer eine gehörige Portion Vorschuss-Respekt bekommst, wenn du öffentlich vor eben diesen Leuten sprichst. Die Angst vor fachlichem Vorsagen ist dagegen etwas Reales, was ich selbst schon häufiger gesehen habe. Hier gibt es verschiedene Stufen: von kleinen fachlichen Lücken über Falschaussagen bis hin zu grundsätzlichen Fauxpas.

Diese Angst kannst du dir aber selbst nehmen, indem du dich optimal und gründlich vorbereitest. Auch wenn man sich als Experte auf einem bestimmten Gebiet sieht, kann ich jedem nur empfehlen, vor einem Vortrag eine grundlegende Recherche zu betreiben und das eigene Fachwissen zu hinterfragen und auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu gehört auch, seine Folien unbedingt selbst vorzubereiten und zu verinnerlichen. Gerade bei Vertretern großer Unternehmen kommt es nicht selten vor, dass die Vortragsunterlagen von der Marketing-, Rechts-, Vertriebs- oder Produktabteilung erstellt oder inhaltlich angepasst werden. Peinlich wird es dann, wenn man erst live auf der Bühne merkt, dass der visuelle Leitfaden nicht den eigenen Gedanken entspricht. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern auch respektlos gegenüber dem Publikum. Der Eintritt zu Konferenzen kostet nicht selten mehrere hundert Euro pro Ticket und als Referent hat man die Verantwortung, diesem Preis auch gerecht zu werden. Außerdem investieren die Menschen im Publikum ihre Lebenszeit in einen Vortrag. Das musst du als Vortragender respektieren und honorieren. Dabei spielt es meiner Meinung nach keine Rolle, ob du für deinen Auftritt bezahlt wirst, ob du pro bono unterwegs bist oder ob du selbst für deine Anwesenheit ein Entgelt entrichtest. Wer auf der Bühne steht, muss sich entsprechend vorbereiten. Wenn man jede einzelne Folie selbst erstellt, dann ist auch das Risiko eines fachlichen Versagens wesentlich geringer, denn schließlich weiß man auch, was auf der Bildfläche zu sehen ist und welche Folie als nächste kommt. Zumindest sollte jede einzelne Folie und die Präsentation als Ganzes vom Vortragenden intensiv studiert, gelesen und verstanden werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Probelauf vor jedem Workshop, Vortrag und jeder Präsentation. Dazu später mehr.

Die größte Angst: Der Blackout

Der letzte Punkt, Angst vor einem Blackout, ist sehr schwierig durch präventive Maßnahmen zu bekämpfen. Eine gründliche Vorbereitung in Form von Recherche und Übung kann die Gefahr eines Blackouts zumindest ein wenig reduzieren – ganz verhindern jedoch nicht. Aber wodurch kommt es überhaupt zu diesem temporären Totalausfall?

Der Neurowissenschaftler Dominique de Quervain stellte vor rund 20 Jahren bei einem Forschungsaufenthalt in den USA fest, dass das Stresshormon Cortisol den Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis hemmt. In seinen Tierversuchen stellte er fest, dass gestresste Ratten weniger gut in der Lage waren, bereits Erlerntes abzurufen. Unter anderem das bekannte Phänomen des Blackouts in Prüfungssituationen konnte seine 1998 veröffentlichte Studie erklären.

Den Anstoß zu de Quervains Forschungen über Stress und Gedächtnis gab genau eine solche Situation. «Während meines Staatsexamens konnte ich bei einem Kollegen live einen Blackout beobachten, als wir zu viert eine mündliche Prüfung ablegen mussten – das hat mich fasziniert und ich wollte herausfinden, was für das Vergessen unter Stress verantwortlich ist», zitiert die Universität Basel Prof. Dominique de Quervain in einem Interview.

«Wir dachten uns, dass wir den Effekt von Cortisol vielleicht positiv nutzen könnten, um damit die Erinnerung an traumatische Ereignisse bei Angstpatienten zu reduzieren.» ergänzt de Quervain im selben Interview. Im Jahr 2004 führte de Quervain einen erfolgreichen Test durch.  Weltweit gibt es mittlerweile verschiedene Studien, von denen elf einen signifikanten Effekt von Cortisol zur Prävention oder Therapie von Angsterkrankungen zeigen – rund zehn Jahre nach den ersten klinischen Studien. De Quervain wandte sich der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu, nachdem eine weitere Studie die Wirkung von Cortisol auf das Vergessen auch beim Menschen bestätigt hatte.

Dass Gedächtnislücken häufig durch das Hormon Cortisol ausgelöst oder begünstigt werden, bestätigte eine Studie der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e.V.. Auch hier zeigte ein Experiment mit Ratten und Menschen, dass eine erhöhte Dosis Cortisol dazu führte, dass sich sowohl die tierischen als auch die menschlichen Probanden schlechter an zuvor Gelerntes erinnern konnten. Das Hormon sorgt dafür, dass die Aktivität des Hippocampus, eines für das Gedächtnis wichtigen Teils des Gehirns, gehemmt wird, was zu einem vorübergehenden Gedächtnisverlust führt. Interessant an dieser Studie ist auch, dass Cortisol erst 15 bis 20 Minuten nach einer akuten Stresssituation ausgeschüttet wird. Das erklärt auch, warum ein Blackout auf der Bühne selten gleich zu Beginn des Vortrags auftritt, sondern eher mittendrin. Stress entsteht oft schon, wenn man weiß, dass man gleich nach vorne gehen und sprechen muss. Je näher dieser Moment rückt, desto mehr Adrenalin wird ausgeschüttet und Stress entsteht. Damit steigt auch die Gefahr eines Blackouts von Minute zu Minute.

Fazit: Redeangst ist ein weitverbreitetes Phänomen

Wie du sehen kannst, hat die Angst, vor Menschen zu sprechen, verschiedene Ursachen und Facetten. Es ist aber auch deutlich, dass du mit gezieltem Training und Vorbereitung, sowie einer gesunden Portion Selbstvertrauen, einen Großteil dieser Ängste überwinden kannst. Lass dich nicht von deinen Ängsten beherrschen, sondern nutze sie als Antrieb und Motivation, um dich ständig zu verbessern und zu wachsen. Jeder erfolgreiche Redner, den du siehst, hatte einmal Angst vor dem Sprechen. Aber sie haben diese Angst überwunden und sind daran gewachsen. Du kannst das auch! Nutze jede Chance, um zu üben und zu lernen. Fokussiere dich auf deine Stärken und arbeite an deinen Schwächen. Und vergiss nicht: Der wichtigste Aspekt des öffentlichen Sprechens ist nicht Perfektion, sondern Authentizität. Wenn du dich selbst bist und an das glaubst, was du sagst, wirst du dein Publikum sicher erreichen. So, nun geh raus und lass die Welt hören, was du zu sagen hast!